Statement
Die Begegnung mit zwei blinden Menschen am Ende meines Kunststudiums hat meine künstlerische Arbeit nachhaltig beeinflusst. Meine Aufmerksamkeit richte ich auf das, was „da“, aber nicht sichtbar ist.
Ich zeichne mit Stift, Pinsel, Schere, Falzbeil und Locheisen und entwickle Versuchsanordnungen, die mich zu neuen, seriellen Bildfindungen und Techniken herausfordern. Meine weitgefasste zeichnerische Praxis kategorisiere ich in Fotogeflecht, Faltung, Lochung, Zeichnung.
Seit 2009 habe ich als Künstlerin wiederholt zusammen mit naturwissenschaftlichen Instituten gearbeitet: Meteorologisches Observatorium Lindenberg; Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin; Max-Planck-Institut für molekulare Genetik Berlin; Geophysikalischen Institut in Bergen/Norwegen; und zuletzt 2019, Science-Art-Philosophy Lab, Lissabon.
Ich möchte mehr darüber verstehen, wie chaotisch anmutende Prozesse im Leben mit systematischen Vorgehensweisen erklärt werden können. Ich begegne der Vormachtstellung der Naturwissenschaft, das Leben zu erklären, jedoch skeptisch. Deshalb interessieren mich die in der Forschung angewendeten Untersuchungsmethoden in Feldern wie z.B. die Wolkenbeobachtung, die Visualisierung von menschlicher Vielfalt, oder die Genetik. Im intensiven Austausch mit den Wissenschaftler*innen, habe ich künstlerische Regelwerke entwickelt, die im Verhältnis zu den jeweiligen hochkarätigen Forschungsvorhaben stehen.
Jedem Projekt unterliegt ein Regelwerk, wonach ich zu handeln habe. So lange bis ich an die Grenzen des Regelwerks stoße. Dann beginnt, ebenso wie ich der Wissenschaft, der weite Spielraum, eigene Entscheidungen treffen zu müssen. Beispielsweise neue Regeln zu erfinden, Unstimmigkeiten in die Regeln zu integrieren, oder sie zu ignorieren. Gerade in der Limitierung tut sich ein Kosmos von unendlich vielen Möglichkeiten auf. Wiederholung erlebe ich als Veränderungsprozess.
Mein aktuelles Langzeitprojekt „Leerstelle des Unbekannten/Nichts stimmt mehr“ (2015 –fortlaufend) hat sich von den naturwissenschaftlichen Modellen emanzipiert. Es ist der autonom angelegte Versuch, das Feld der Zeichnung mit einem einfachen, performativen Regelwerk anders aufzurollen und dabei zu neuen Bildern zu gelangen. Die Vorgehensweise nenne ich die Proxy-Zeichen-Technik.
Katrin von Lehmann, Juni 2020
Portfolio
Arbeiten an wissenschaftlichen Instituten und Projekt 'Leerstelles des Unbekannten/Nichts stimmt mehr' 2018 Portfolio (pdf)
Vor Haupt Nach Speise, Katalog (dt/engl) 2017 (pdf)
Arbeiten 2012 - 2014 Portfolio (pdf)